Quelle: Schweizer Kunst 1993, S. 23-25, Eduard Bick Stiftung

Aufzeichnungen der Angelika Bick

Dezember 1934 – Odeon Tamara , Spengler u. Volz. Sie erzählen, dass ihnen in Morcote an der Dampfschiff-haltestelle ein Haus zum Kauf angeboten wurde und Tamara fragt, ob wir uns bei einem Kauf evt. zur Hälfte beteiligen würden. Kein Interesse und auch kein Geld auf unserer Seite. Morcote und dazu Dampfschiffhaltstelle! Ein Monat später Tamara «Wir haben Land gekauft am Lago Maggiore und beginnen im Januar zu bauen!» «Auf kommunistischer Grundlage», Schilderung der Schönheit dieser Seite des Sees. Interessiert hören wir an. Es vergeht einige Zeit, da kommt ein Brief von S. Abbondio, dass sie ca. 4000 qm Land gekauft haben, bereits bauen. Architekt ist Spengler, Volz, Rich. Huber und Pini als Muratori. Sie möchte gerne Land abgeben, um Geld für Baumaterial zu bekommen. Ob wir vielleicht ihnen ein Stück abkaufen würden. Es handelt sich um ca. 900 qm. Die Begeisterung auf seiner Seite ist nicht gross. Woher das Geld nehmen? Bis dahin hatten wir auch nie mit einem Gedanken daran gedacht – selbst nicht in Zürich – Haus oder Land zu begehren und zu erwerben. Man redet auf uns ein, weil man dringend Geld nötig hat zum Weiterbauen. Spengler kreuzt unsere Wege auffallend oft und bearbeitet uns, er spürt, dass das Interesse wächst und lässt nicht locker. Ich rate meinem Mann einmal hinunterzufahren und es sich anzuschauen.

Im Februar schwingt er sich auf, fährt nach S.Abbondio, abends kommt er zurück und kommt direkt an die Geburtstagfeier von Schaili. Er ist von der Landschaft begeistert und bereits voller Pläne: Wenn ich je mir etwas wünschte, so wäre es dort in dieser herrlichen Landschaft zu leben. Ungefähr 10 Jahre vorher hat man uns in Ascona für ganz wenig Geld (200-300 Fr) in der Salegge Land verkaufen wollen. «Nicht geschenkt möchte ich dort sein» sagte Bick, und obwohl ich Ascona liebte, wollte ich mich dort nicht niederlassen. Wie recht wir hatten, das hat sich in all den Jahren gezeigt. Ascona war schön vor 30 Jahren, als man im Albergo «Elvetia» unter der Glycinienpergola sass und jeden Abend beim täglichen Gewitter mit dem Teller ins Haus flüchten musste. Der Padrone rühmte sich, pro Jahr 1 Centner Knoblauch zu brauchen, die Küche war ausgezeichnet, das Haus immer besetzt. 

Ein Erlebnis war die erste Fahrt  mit Autobus und Chauffeur. Am 1. August Schiessbude, Karussel und Würfelbude. Die Gewinne bestanden aus Brissaghi und Zeltli, höher ging es selten, nur nachts 24 Uhr gewannen die Einheimischen die Hauptgewinne nach geheimnisvollem System, das ich gerne ergründet hätte! Uhren, Liegestühle und sonstige Dinge. Bei all den Anlässen war Tanz. Begehrte Tänzer waren der Briefträger und der Chauffeur des einizigen Autobusses und auf der anderen Seite die einheimischen Frauen begehrt von den Fremden, was nicht immer ohne Eifersucht und Zwischenfälle abging. Ascona war damals noch ein unberührtes Nest, die Piazza angepflastert und morgens und abends zogen die Kühe an den See zur Tränke. In den Kaffees waren die Einheimischen noch in der Mehrzahl. Am Gemüsewagen morgens begegnete man der Werefkin und anderen Künstlerinnen und Künstlern. Es gab keine Autos und noch weniger Motorräder, und die schöne Piazza mit der herrlichen Aussicht gehörte den Menschen, die hier wohnten oder vorübergehend Erholung hier suchten (und versperrte nicht die Aussicht wie heute). Auf dem Monte Verità war ein reges Leben in Schönheit und Nacktkultur, aber darüber haben schon viele geschrieben.

Im April 1935 hatte uns Spengler bereits soweit bearbeitet, dass wir weich wurden. Mein Mann riet mir hinunterzufahren und das Land einmal anzusehen. Ich war begeistert über Schönheit, Einsamkeit und Unberührtheit der Landschaft. Der Hocker (Hoger, Hügel?) hatte es mir sofort angetan. Bei Mondschein schlich ich auf dem Terrain herum. Ich war wie trunken. Unten baute man bereits, mittags beim Picnic war ich mit Tamara und Volz zusammen. «Auf kommunistischer Grundlage» war die Devise. Volz, beim Militär Unteroffizier, hatte sich eine Pfeife zugelegt und pfiff den Arbeitsbeginn für seinen Freund und Mitarbeiter und den Muratore. Tamara schob Volz die besten Happen zu «iss doch noch Petoncinen!». Der arme Ritsch Huber war das Stiefkind! Mich wurmte es beim zusehen. Es ging sehr knapp zu, denn man hatte nur beschränkte Mittel zum Leben; alles ging für Materialkauf drauf!

Im August endlich waren wir reif, um wie eine reife Frucht Spengler zuzufallen. Fr. 1500.00 verlangte man für den Bauplatz. Wir konnten nur 1000.00 aufbringen! Zusammen mit Spengler fuhr ich in den Süden. In Locarno erwarteten mich Tamara und Volz, man ging zum Avocaten und nach einer Stunde war das Stück Land mein. Ich kann nicht sagen, dass ich gleich vor Freude überbordete, das Geschäftliche hatte mich ernüchtert. Wir fuhren dann nach S.Abbondio, ich wollte 4 Tage in der Casa Tamara bleiben, es war eine böse Enttäuschung. Es regnete 4 Tage ohne Unterbruch; und ich konnte mein soeben erstandenes Land nicht einmal betreten, sondern nur von unten anschauen, durch den Regenvorhang.

Jetzt hatten wir das Land, was nun? Spengler bearbeitete und weiter und riet gleich zu bauen. Das Land hatten wir und was war verlockender als ein Häuschen darauf zu stellen. Aber die Frage der Finanzen schien unlösbar. Wo ein Wille ist ein Weg, auch in unserem Fall. Man machte einige Anstrengungen und es gelang. Bick verkaufte eine Figur. Der Mäzen schrieb «obwohl die Figur mir nicht restlos gefällt, will ich sie erwerben». Eine bittere Pille! Man schluckte sie, weil man hoffte, die Baupläne damit verwirklichen zu können. Es gab 5- oder 6000.00 Fr.. Wir kauften Baumaterial – einen Architekten konnte man sich damit nicht leisten. Aber da man nur das Bescheidenste plante – ein Atelier und einen Wohnraum – wagte man es ohne Architekten. Es wundert mich heute noch, woher man den Mut dafür nahm. Man machte die Pläne, suchte einen Baumeister und fing an. In kurzer Zeit stand der Rohbau, ein befreundeter Architekt kontrollierte den Bauunternehmer, was sehr nötig war. 

Im Oktober 1935 hatte man zu bauen begonnen. April 36, Ostern, war das Häuschen fertig, es fehlte nur noch das grosse Atelierfenster vom Schlosser – trotzdem zog man ein und schlief darin wie in einem Frigidair! Aber die Begeisterung überwucherte alles. Der Rohbau stand, nun galt es den Ausbau vorzunehmen. Gerne hätte ich mich da betätigt. Nur den Korkboden im Wohnzimmer legte ich zusammen mit einem Arbeiter aus Ranzo nicht ahnend, dass ich ihn ein 2. Mal legen würde, später! 

Eine kleine Hypothek beschaffte die Mittel für den Ausbau und für die Gestaltung der Umgebung. Mauern und Treppe mussten erstellt werden. Ich war Handlanger beim Handlanger, indem ich ihm die Steine, die in der Umgebung zusammengesucht werden mussten, zutrug. Oberhalb des Hauses sprengte man um Steine zu gewinnen. Später machte Rätio Albezzati die Treppe und den Brunnen.

Im Rücken der schöne Hügel hatte es mir angetan, oft spazierte ich herauf, genoss die schöne Aussicht und Wünsche stiegen in mir auf ihn zu besitzen. Das Glück war uns hold, das Glück zur Güterzusammenlegung. Der Geometer gab meinem Mann einen Wink, er kaufte für 300.00 und 200.00 zwei Stück Land in Gerra, und man tauschte dafür den «Hügel» ein. Unfassbar – Ein Wunsch war in Erfüllung gegangen, Begeisterung und grosse Liebe hatten dazu beigetragen.

Portrait von Anni B.

Unter dem Fenster lag ein lang gestrecktes Stück Land mit Terassen, in seinen Grenzen unser Land etwas beengend. Sein Besitzer, ein 70jähriges Männchen aus Ranzo, ehemals Kaminbauer in Paris, zurückgekehrt in die Heimat wie viele andere Tessiner, schaut mir oft bei der Arbeit zu und meinte, dass ich wie ein Neger arbeitete, redete oft um den Verkauf seines Landes herum. Er verlange nicht 6 oder 8 Franken wie drüben in Ascona. Nein. Nun –wir hatten keine «soldi» und konnten nicht daran denken das Land zu erwerben, obwohl eine relativ günstige Zeit vor der Landesausstellung – 1939 Krieg! – der Alte stirbt – die Witwe bietet uns das Land zu einem für uns erschwinglichen Preis an. Im allgemeinen kein Interesse für Landkäufe in dieser unsicheren Zeit, somit keine Konkurrenz. Die Witwe will uns das Land zuhalten, aus Sympathie. Wir greifen zu.

Woher nur nehmen wir den Mut? Ich fahre nach Locarno um den Kaufvertrag abzuschliessen.

Die Freude wäre überbordend, wenn nicht Krieg wäre. Nicht nur mein Mann – nein wohl alle Künstler leiden unsäglich. Nicht nur aus materiellen Gründen, es scheint untragbar diese Unsicherheit, die persönliche, und man fragt sich, ob wir morgen noch dasein werden, ob die Schweiz weiter besteht, und wie wir aus diesem Krieg hervorgehen werden.

1940 Die begehrte Landzunge mit ihren Terrassen ist unser, die Versuchung, praktisch etwas mit dem Land anzufangen ist gross. Wir beschliessen 150 Reben zu pflanzen, ein Weinberg soll entstehen, Obstbäume gepflanzt werden. Gesagt, getan! Die Grosstädterin wird Bäuerin, ein Kindheitstraum geht in Erfüllung. Bald besitze ich Hühner und Gückel. Das Land verpflichtet zu Anbau, es ist Krieg.

Im Nachbardorf ist ein Grenzwächter, Signor Clement Dänz, er bebaut unser Land. Wir ernten 9 Doppelzentner Kartoffeln, ein Maisfeld ist unter dem Fenster, 125 Bohnenstangen – und jetzt, es ist kaum zu glauben – niemand will diese Dinge – nicht einmal geschenkt, denn noch ist keine Not. In Gedanken an den ersten Krieg hatten wir das alles gepflanzt, um evt. auch anderen zu helfen, es ist sogar verboten, Kartoffeln für den eigenen Bedarf nach Zürich zu senden.

Die Zeit vergeht, das Häuschen steht bereits einige Jahre. Wir hatten es gebaut in der Hoffnung, dass mein Mann und ich im Jahr einige Zeit dort verbringen könnten, dass er im Atelier oder auch im Freien arbeiten würde. Es kam ganz anders. Meistens fuhr ich allein mit 1-2 Katzen im Korb, im Krieg sogar mit Hühnern nach S. Abbondio, denn mein Mann musste in Zürich bleiben, um die Aufträge auszuführen und das Geld für das Leben heranschaffen. Man musste sich einschränken, um das Geld für Reise und die üblichen Ausgaben wie Steuern, Abgaben, Gärtnerarbeiten etc. aufzubringen. Trotzdem war man glücklich und genoss die wenigen Tage, die man gemeinsam mit Freunden dort verbrachte. Auslandreisen kamen nicht mehr in Frage, ebenso irgend welche grösseren Anschaffungen, wie Kleider usw.

Hier enden die Aufzeichnungen, die Angelika Bick im Bewusstsein ihres bevorstehenden Todes im Spital geschrieben hat, wo sie bald darauf, am 25.9.1956 starb.

Guido Fischer schreibt am 16. August 1956 an Frau Bick im Spital wenige Wochen vor ihrem Tod: «Liebe Frau Bick, haben sie Zeit und Kraft gefunden, um etwas über die Entstehung des Hauses niederzuschreiben? Es wäre sehr schön, wenn nichts verloren ginge.» Und zehn Tage später: « – Gestern war ich also in S.Abbondio. so diskret als möglich, habe ich mir auch Notizen über das ganze Grundstück gemacht. Erst diesmal konnte ich mir über den ganzen Umfang ein richtiges Bild machen. Die verschiedenen Bödeli sind ganz ideal. Das ganze Grundstück ist viel grösser als ich mir vorstellte und durch die Strasse und den Fussweg denkbar günstig abgegrenzt. Ich habe mir auch einige Gedanken über weitere Ausbaumöglichkeiten mit Ateliers gemacht. Weitere Bauten liessen sich, wenn sich das Projekt (die Stiftung, welche Angelika Bick in den folgenden Tagen testamentarisch verfügen wird) so entwickelt wie man es wünschen möchte sehr wohl diskret und zweckmässig ins Terrain  einbetten. Von unendlicher Wohltat ist der Friede der über der ganzen Gegend ruht. Von den herrlichen reifen Zwetschgen hätte ich gerne einige für sie mitgenommen. Für einen  Maler war die dunkelblaue Regenstimmung vom Sonntag voller Schönheiten.»

Am 25. September ist Angelika Bick gestorben.

In der SCHWEIZER KUNST schreibt er 1957: «Diesen für die Gattin unseres Kollegen zum Kostbarsten auf dieser Erde gewordenen Besitz wollte sie keinem der Interessenten, die sich aus der Schweiz, aus Deutschland und Holland gemeldet hatten, verkaufen. Es war ihr Wunsch, dass er den Schweizer Malern und Bildhauern zugute kommen solle. Die Gewissheit, dass die Plastiken und Gemälde von Edouard Bick ihren Wünschen entsprechend verteilt seien und dass ihr Haus und ihr Land Malern und Bildhauern Freude machen werde, haben über die letzten Tage von Angelika Bick eine wundersame Verklärung gebracht…..» 

Quelle: Schweizer Kunst, 1993, S. 4, Handschrift aus den Aufzeichnungen von Anglika Bick